„Datumsgrenze ist die letzte einer Serie von sechs
Bildwebereien, an denen ich von 1983 bis 1990
gearbeitet habe. Das Thema einer imaginären Reise
um die Welt, die mich mit Leichtigkeit sowohl nach
Griechenland als auch auf die Osterinsel, zur
sizilianischen Mafia genauso wie in den Pazifischen
Ozean, und hier speziell zur Datumsgrenze, geführt
hat, basiert auf einer Reihe von Collagen, die ich in
den siebziger Jahren hergestellt habe.
Ich habe im Geiste diese Datumsgrenze überquert,
‚die Linie, an der angenommen wird, dass der Kalen-
dertag beginnt und endet, so dass östlich und westlich
von ihr das Datum sich um einen Tag unterscheidet‘
(The Shorter Oxford English Dictionary). Indem ich
diese Linie kreuze, kann ich die Zeit rückwärts
verlaufen lassen und zum Beispiel vom Montag in
den Sonntag zurück gelangen. Dieser scheinbar
umgekehrte Lauf der Zeit regt die Phantasie an und
macht Erinnerungen lebendig: Zeit steht zu meiner
Verfügung - ich beherrsche die Vergangenheit und
die Zukunft, und ich kann mich in beide Richtungen frei
bewegen.“ (P. H. 1991)
Wenn eben das Collagieren in seinen wesentlichen Zügen beschrieben wurde, dann wird sich mancher fragen, warum sich Peter Horn nicht mit einer Klebearbeit zufrieden gibt; er wäre doch damit in bester Gesellschaft. Eine Antwort lässt sich mindestens in zwei Hinsichten finden. Wenn man zum Beispiel den collagierten Entwurf von 1971 mit der gewebten „Datumsgrenze“ vergleicht, entdeckt man, dass der Entwurf während des Webens ständig verändert wurde: Farben sind ausgetauscht, Signetartiges wurde in zunächst einfarbige Flächen eingefügt. Das zeigt, dass das Bildweben für Peter Horn das eigentliche Medium künstlerischen Ausdrucks ist, und keineswegs eine mechanische Technik, in der Vorgegebenes nur wiederholt wird, sondern ein in jedem Augenblick lebendiger Prozess der Kreativität.
Peter Horns Thema, auch in anderen seiner Arbeiten, ist Zeit und Gleichzeitigkeit, und wohl kaum ein anderer Künstler hat einen so überzeugenden Weg gefunden, die philosophische Tiefe dieses großen Themas ins Werk zu setzen, sinnlich logisch zu verwirklichen. Die Kette auf dem Webstuhl entspricht einem leeren, messbaren Takt, der Schuss einer lebendigen, rhythmischen Bewegung. Hier ist nichts mehr ‚aufgesetzt‘. Beide zusammen repräsentieren im gewebten Bild die unsichtbaren Verbindungen und Vernetzungen aller Formen in unübertrefflicher Weise.
Das Weben ist für Peter Horn kein reproduktiver Vorgang. Er trifft während der Arbeit künstlerische Entscheidungen und ändert Farben und Formen der Vorlage während des Webens. Die künstlerische Arbeit versöhnt die Gegensätze des Starren, Meßbaren und des Bewegten, Unauslotbaren und wird als erfüllte Zeit erlebt. Sie kann das Problem der „Datumsgrenze“ im Werk ‚aufheben‘, sinnlich gesättigt und überzeugend zum Ausdruck bringen. Aus der Welt schaffen kann sie es nicht. Das weiß der Künstler. Selbstironisch meidet er Pathos und Belehrung, sagt, was der Fall ist.“ (Manfred Korte 2004)
„In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann ich meine imaginären Reisen in die unbegrenzten Weiten des Weltraums. Diese Reisen wurden im Laufe der Zeit immer weit- und ausschweifender. In letzter Zeit habe ich die Planeten Merkur, Mars und Jupiter und den Asteroidengürtel besucht. Inzwischen bin ich bereits auf dem Wege zum Orionnebel.
Ich habe einen dramatischen Absturz auf den Erdenmond auf wundersame Weise überlebt und den Jupiter und einige seiner vielen Monde aus nächster Nähe gesehen. Mich hat die romantische Stimmung eines Mondnachmittags begeistert, die sanften Farbschleier der fast nicht wahrnehmbaren Jupiterringe haben meinen Farbensinn geschärft, und die poetische Einsamkeit auf der von unzähligen Kratern zerfurchten Oberfläche des Planeten Merkur hat mich tief ergriffen.
Und bei all diesen phantastischen Reisen ist es für mich das größte Erlebnis, wenn ich damit beginne, meine Entdeckungen in einem langen Arbeitsprozeß in gewebte Bilder umzusetzen. Die elementare und existentielle Freude am Weben und die Gewissheit, daß ich nur in diesem Medium meine Vorstellungen so genau ausdrücken kann, lassen mich für dieses Tun motiviert sein.“ (P. H. 2005)
„Einige seiner Bildwebereien werden zunächst im Format
20 x 20 cm gewebt, so als ob Peter Horn die Bildwirkung
zunächst im kleinen erkunden will: „Uranus“ (1996),
„Mercurius 1“ (1996), „Ring des Jupiter 1“ (1997). Im Jahre
1998 vergrössert er den Mercurius als Nr. 2 beinahe um
das Zehnfache (198 x 198 cm), und der „Ring des Jupiter 2“
folgt im Jahre 2000 in fast der gleichen Größe (200 x 197 cm). An beiden großen Ausführungen nimmt Horn erhebliche
Veränderungen hinsichtlich des Motivs und der Farbigkeit vor.
Was im kleinen sehr dicht wirkt, wird jetzt in der stark vergrößerten Umsetzung bedrohlich. Im unteren Bereich der Bildweberei „Mercurius 2“ ist eine graue Menschenmenge zu
erkennen, über deren Köpfen ein riesiger blauer Planet mit
erkennbaren Kratern schwebt und anscheinend auf die Erde
zu rast. Das Motiv erinnert an den Film „Armageddon“, in
dem die Helden einen auf die Erde stürzenden Stern zerstören. Der Begriff bezeichnet nach der Offenbarung des Johannes den mythischen Ort, an dem die bösen Geister die ‚Könige der gesamten Erde‘ für einen großen Krieg versammeln. Im englischen Sprachgebrauch wird dieser Ausdruck für große Katastrophen benutzt. In der Bildweberei Peter Horns bleibt die Situation unbestimmt, gewissermaßen in der Schwebe.“ (Gerd Mettjes 2004)
EINE NEUE THEMATIK
Nach der Fertigstellung meiner Tapisserie „Orion-Nebel“ im September 2009 war meine Neugier auf neue Seiten meiner Kunst sehr groß. Also entschloss ich mich zu einer neuen Thematik, deren inhaltliche Aspekte mir erst langsam bewusst wurden. Diese Thematik wird aber unbedingt durch eine neue physische Komponente befördert, die sich seit einiger Zeit bei mir verstärkt zeigt. Ich spüre, dass meine Arme und Hände schwächer werden, was sich unter anderem an der Neigung zu einem leichten Tremor, einem Zittern meiner Hände, zeigt.
Dieser „essentielle Tremor“, bei dem es sich nicht um Parkinson handelt, ist wohl ein Erbteil von meiner Mutter, die sie und auch andere Mitglieder meiner engeren Familie aufweisen. Außerdem habe ich seit langer Zeit die Gewohnheit, in allen Lebenssituationen ständig eine aufnahmebereite digitale Fotokamera bei mir zu tragen. Es ist eine Lumix DMC-TZ8, die den Vorteil hat, dass ich sie wegen ihrer geringen Ausmaße unauffällig benutzen kann, während ich sie in meiner herabhängenden rechten Hand halte und auslöse.
Bei schwachem Licht, das ich dabei bevorzuge, verlangt das Fotografieren längere Belichtungszeiten, und, durch das Zittern der Hand unterstützt, produziert die Kamera unscharfe und verrissene Bilder. Ich gehe nun mit meiner Digitalkamera bewusst in alltägliche wie auch in besondere räumliche Situationen hinein, zum Beispiel auf Kieler Strassen und während meiner Reisen auf den Londoner Queensway oder in Venedigs Gassen. Die Ergebnisse sind also vom Thema her geplant, in der Realisierung der einzelnen Bilder aber hinsichtlich Bildausschnitt und Komposition zufällig. Die meisten Motive haben einen schiefen Horizont und in den meisten Fällen angeschnittene Formen, die aus dem Bild zu streben scheinen. Menschen haben keine oder abgeschnittene Köpfe und Beine.
All diese Zufallsfaktoren bringen Ergebnisse, die ich nach meinem früheren Verständnis von Fotografie als misslungen abgetan hätte, die ich aber als „Tremorfotos“ oder „Zufallsfotos“ heute besonders schätze: Fotografien nämlich, die voller Dynamik, voller Spontaneität, voller atmosphärischer Dichte, voller Geheimnisse sein können.
Seitdem ich mich der beschriebenen neuen Thematik zugewandt habe, mache ich nur noch selbst hergestellte Fotos zur Grundlage meiner Entwurfsarbeit. Dabei kann ich auch selbst gar nicht abschätzen, wie weit meine Arbeiten den Bereich des Gegenständlichen und Figurativen verlassen und irgendwann zu gänzlich abstrakten Tapisserien führen werden. (P. H. 2022)